Auch wenn sich der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union nun (noch?) nicht am 29. März vollzieht: an diesem Tag darf ein Hinweis auf einen der vielen Titel zum Brexit im Bestand der Universitätsbibliothek nicht fehlen, nämlich auf das Buch Heroic Failure: Brexit and the Politics of Pain des irischen Publizisten Fintan O’Toole, das man in der Teilbibliothek AR-D ausleihen kann (Signatur: 31 PDGG 3348). Heroic Failure ist in gewisser Weise das Buch zum Brexit: ein hinreißend scharfsinniger Essay und eine schonungslose psychologische Analyse der politischen Klasse Englands – und zwar aus der Feder eines der bekanntesten Intellektuellen Irlands, der seiner Fassungslosigkeit darüber, dass vor dem Referendum die nun alles dominierende Frage nach der irisch-nordirischen Grenze einfach ignoriert wurde, freien Raum lässt.
In sieben Kapiteln geht O’Toole, der für die Irish Times schreibt, den nationalen Obsessionen nach, die aus seiner Sicht zunächst zur Austrittsentscheidung und dann zum Chaos während der Verhandlungsphase geführt haben. Sein Fokus liegt dabei nicht auf der gesamten Bevölkerung, sondern auf dem in Politik und Presse verbreiteten europakritischen und spezifisch englischen Nationalismus einer ebenso meinungs- wie lautstarken Elite, die zum Teil tief in überkommenen Traditionen und Überzeugungen verwurzelt ist. Titel und Untertitel des Buches verweisen auf ein Grundmotiv, das O’Toole bei den Brexiteers gefunden zu haben glaubt und das ihn in der Erklärung der Vorgänge der letzten Jahre weit trägt. Er konstatiert einen im Kern imperialen Exzeptionalismus, der sich in einer eigentümlichen Mischung von Selbstmitleid und Überlegenheitsgefühlen ausdrückt und seine charakteristischste Ausprägung in einer Lust am heroischen Scheitern als einer vermeintlichen Tugend findet, versinnbildlicht etwa durch die fatalen Expeditionen Franklins oder Scotts oder den in das feindliche Maschinengewehrfeuer galoppierenden Kavallerieoffizier.
Auch wenn manche Exkurse vielleicht etwas lang geraten und manche psychologisierenden Schlussfolgerungen gewagt sind: O’Tooles Ausflüge in die englische „Traumzeit“ oder den selbstverletzenden „Sadopopulismus“ der EU-Gegner sind äußerst unterhaltsam und warten immer wieder mit überraschenden Erkenntnissen auf. Aus deutscher Perspektive ist sicherlich das zweite Kapitel am interessantesten, das sich an den germanophoben Zügen der Brexit-Debatte abarbeitet, in denen mal die EU als später Sieg deutschen Großmachtstrebens erscheint, mal der Geist von Dünkirchen beschworen wird und mal die nationale Rettung durch ein Machtwort von BMW, Daimler & Co. herbeigeträumt wird.
Mit Heroic Failures als Begleitlektüre wird das Brexit-Spektakel der vergangenen Wochen und Tage insgesamt zwar nicht weniger deprimierend – aber man wird wenigstens auf unterhaltsame und lehrreiche Weise daran erinnert, dass es ein wenig westlich von der britischen Insel noch ein Land gibt, das in der EU bleibt und zum Glück so hervorragende Beobachter und Autoren wie Fintan O’Toole hervorbringt.