Am 8. Februar 2019 wäre Prof. Dr. Walter Barton 95 Jahre alt geworden. Diesen Tag hat der Gründungsdirektor der Universitätsbibliothek Siegen nicht mehr erlebt, er verstarb am 16. November 2018 in seiner Oldenburgischen Wahlheimat. Barton war von 1972 bis 1987 Leitender Bibliotheksdirektor in Siegen und hat, wie seine Kollegen an den vier anderen Gesamthochschulen, bibliothekarische Pionierarbeit geleistet, die bis heute nachwirkt – eine Leistung, die auch ein halbes Jahrhundert später kaum hoch genug eingeschätzt werden kann.
Seine Kindheit und Jugend verbrachte Walter Barton in Jena. Wie viele junge Männer seiner Generation führte ihn sein Weg von der Schulbank (Kriegsabitur 1942) ohne Umweg auf die Schlachtfelder des zweiten Weltkriegs. Als Panzersoldat kämpfte er sowohl bei Stalingrad als auch nach dem D-Day an der Front im Westen, wo er verwundet wurde. Nach Kriegsende kehrte Barton in seine Heimatstadt Jena zurück und nahm bereits im Wintersemester 1945/46 das Studium der klassischen Philologie und Geschichte auf, das er – nach dem Staatsexamen im Jahre 1950 – mit einer Dissertation zu „Schauplatz und Bühnenvorgängen bei Aischylos“ 1951 abschloss. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits die Laufbahn des wissenschaftlichen Bibliothekars eingeschlagen, mit Ausbildungsstationen an der Universitätsbibliothek Jena, der Deutschen Bücherei Leipzig und der Staatsbibliothek in Berlin. An die Fachprüfung im März 1952 schloss sich die Berufstätigkeit als wissenschaftlicher Bibliothekar an der UB Jena unmittelbar an. Die junge Karriere des mittlerweile zweifachen Familienvaters (ein drittes Kind folgte 1959) bekam jedoch mit der aktiven Teilnahme am Volksaufstand vom 17. Juni 1953 einen Knick. Barton hatte sich am Barrikadenbau gegen sowjetische Panzer beteiligt und setzte sich bald nach einer zweiwöchigen Untersuchungshaft in den Westen ab, wohin seine junge Familie später folgte.
Nach Anerkennung seiner ostdeutschen Qualifikation durch ein Praktikum und eine Nachprüfung in Köln nahm Bartons Karriere als wissenschaftlicher Bibliothekar an der Landesbibliothek Oldenburg ab August 1954 ihren Fortgang, begleitet von einer bis ins Alter anhaltenden Publikationstätigkeit pressehistorischer, landesgeschichtlicher und buch- bzw. bibliothekswissenschaftlicher Art, die deutlich machte, dass Barton, obzwar durch und durch ein Bibliothekspraktiker, sich stets auch als Wissenschaftler verstanden hat. Insbesondere seine bibliothekarische Expertise im Bereich der Presseforschung kam auch an seiner nächsten Station, der Staatsbibliothek Bremen zum Tragen, an der er ab April 1965 als Stellvertreter des Direktors Rolf Kluth wirkte. Barton war im Hinblick auf die anstehende Bremer Universitätsgründung insbesondere für den personellen Ausbau der Staatsbibliothek zu einer Staats- und Universitätsbibliothek mit einer Vervierfachung des Personalbestands innerhalb von drei Jahren verantwortlich.
Aufgrund der Bremer Erfahrungen lag es Ende der 1960er Jahre für Barton nahe, sich in dieser Hochphase der bundesrepublikanischen Universitäts- und Hochschulgründungen beizeiten in Stellung zu bringen und selbst eine Position als leitender Bibliotheksdirektor anzustreben. So geriet er im Sommer 1972 in die Situation sich zwischen der in Gründung befindlichen Universität Osnabrück und den fünf neuen Gesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen (Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen, Wuppertal) entscheiden zu müssen. Da die Verhandlungen in Osnabrück offenbar nicht zufriedenstellend verliefen, sagte Barton dort ab und dem Düsseldorfer Ministerium für Wissenschaft und Forschung für eine der fünf Stellen aus dem Pool der NRW-Gesamthochschulen zu, wobei er Präferenzen für Siegen oder Wuppertal äußerte – aus landschaftlichen Gründen, wie er später sagte: ihn habe die bergige Umgebung an seine thüringische Heimat erinnert.
Als Barton im September 1972 – zunächst noch aus Bremen abgeordnet – seinen Dienst in Siegen antrat, gehörte er zusammen mit dem ebenfalls aus Bremen kommenden Klaus Barckow (Paderborn) sowie mit Ahmed H. Helal (Essen), Ulrich Pflugk (Duisburg) und Dieter Stäglich (Wuppertal) zu einer Gruppe von relativ jungen Bibliotheksleitern, deren Aufgabe es war, an ihren neuen Gesamthochschulen moderne Bibliotheken aufzubauen. Von Barton war eine Pionierleistung im doppelten Sinne gefordert: zum einen galt es auf den lokalen Grundlagen der relativ kleinen PH-Bibliothek aufzusetzen und eine an Personen und Beständen ungleich größere, strikt einschichtige und EDV-unterstützte Bibliothek zu schaffen, die sofort handlungsfähig war und mit den anderen Gesamthochschulbibliotheken, der Ruhruniversität Bochum und dem neubegründeten Hochschulbibliothekszentrum Köln eng in einem Datenverbund kooperierte. Zum anderen galt es, dieses Konzept angesichts der Skepsis in den traditionellen zweischichtigen Einrichtungen im Lande zu verteidigen und gleichzeitig auch auf dem Campus vor Ort dafür zu werben. Barton tat dies mit voller Überzeugung und großem Elan. In den teilweise sehr grundsätzlich geführten Auseinandersetzungen kam Barton als dem lebensältesten und publikationsfreudigsten der fünf neuen Bibliotheksdirektoren offenbar eine gewisse Prellbock- und Sprecherfunktion zu. Dass er später Vorsitzender der AG der Universitätsbibliotheken in NRW wurde, weist jedoch darauf hin, dass er sich zum einen den entsprechenden Respekt im Kollegenkreise erarbeitet hatte und sich zum anderen die grundsätzlichen Differenzen mit der Zeit legten – auch weil die Erfolge in Siegen und anderswo für das neue System sprachen.
Die in den ersten Jahren geleistete Aufbauarbeit ist in der Rücksicht kaum ausreichend zu würdigen. Auch wenn die Siegener Bibliothek nicht komplett auf der grünen Wiese entstand – im Prinzip musste in allen Bereichen neu angesetzt werden: Personal, Bestand, Etatverteilung, Systematik, Technologie, Workflows vor Ort und im Verbund – alles war neu und musste zum Teil im laufenden Betrieb kooperativ entwickelt werden. Dies konnte nicht ohne Reibungsverluste und immer wieder auch einmal berechtigte Kritik vonstattengehen. Barton hat Kritik ernstgenommen und sich mit ihr auseinandergesetzt, wie sich sein professionelles Tun ohnehin durch ein hohes Maß an Selbstreflexion auszeichnete, das er auch in seinen fachlichen Publikationen zum bibliothekarischen Berufsbild und zur Gesamthochschulbibliothek an den Tag legte. Unter dem Strich gilt: Vieles von dem, was seinerzeit konzipiert, entwickelt und umgesetzt wurde, hat grundsätzlich noch Bestand und prägt damit auch die Weiterentwicklung der heutigen Universitätsbibliothek als Ort des Buches und der digitalen Dienstleitungen. Walter Barton, der Ende 1987 in den Ruhestand ging, hat sich selbst ein hohes Ansehen in Siegen und in der Fachwelt erworben. Seine Honorarprofessur mag davon zeugen oder auch die ihm 1989 gewidmete Festschrift „Medien und Bildung“ in der u.a. Karl Riha, Helmut Kreuzer, Hans Ulrich Gumbrecht und Jens Malte Fischer mit Beiträgen vertreten sind. Am meisten zeugt aber davon die hohe Wertschätzung, die ihm noch heute von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Universitätsbibliothek entgegengebracht wird, die sich an einen zugewandten und wohlwollenden, fast väterlichen Vorgesetzten erinnern.
Mit Blick auf das heutige Motto der Universität Siegen ist man geneigt zu sagen: Walter Barton war jemand, der es verstanden hat, Zukunft menschlich zu gestalten. Die Universitätsbibliothek erinnert sich seiner in Dankbarkeit.
* Aus: Barton, Verzeichnis der Veröffentlichungen, Oldenburg 1994
Lieber Herr Dr. Johannsen,
das ist eine sehr schöne Vita des ersten Leiters der Siegener Hochschulbibliothek, Professor Dr. Walter Barton. Danke dafür!
Sibylle Schwantag, von 1978 bis 2014 Fachreferentin für Romanistik, Musik und Medienwissenschaft an der UB (zuvor GHB) Siegen